Lieblos aufeinandergeschichtete Pullover, enge, schmutzige Umkleidekabinen: Eine Frau hat so keine Lust mehr, sich am Wochenende in ein Shopping-Center aufzumachen. Welchen Anreiz hätte sie denn auch?
Blazer, Hosen, Mäntel so eng an den Bügeln aneinandergereiht, dass man es kaum schafft, sie rauszuziehen und von vorne zu bestaunen. Und wenn man es doch versucht, dann passiert was? Genau: Die Kleidungsstücke davor und dahinter fallen vom Kleiderbügel und müssen mühsam wieder aufgehängt werden.
In der Future of feminity Studie haben Silke Linsenmaier und Kirstine Fratz aufgezeigt, wie für Frauen heute ein perfektes Einkaufserlebnis aussieht und was sie suchen. Nämlich: “Schenkt der Kundin Zeit und schnelle Orientierung sowie eine perfekte Vorauswahl und persönlichen Service mit Flirtfaktor.”
Auf der Suche nach positiven (offline) Einkaufserlebnissen
Auch wenn uns eine Menge Negativbeispiele zu diesem Thema einfallen, gibt es doch ein paar andere, die tatsächlich drauf und dran sind, Einkaufserlebnis offline neu zu denken oder gar zu revolutionieren, sodass es für eine Kundin wieder attraktiv wird, offline einzukaufen. Ein kleines Desk Research und ein paar eigene Erfahrungen ergeben nachfolgende Sammlung von 4 solchen positiven Beispielen – extra für euch zusammengestellt.
Hema – der Frischebringer aus China
Die Supermärkte Hema (盒马), die der Alibaba Gruop gehören, stehen sinnbildlich für die New Retail Strategie des grossen orangen Riesen aus dem Osten. Bei Hema kaufen die Kunden mit ihrem Smartphone ein.
Wenn Shopper den Barcode eines Produkts scannen, dann erhalten sie nicht nur detaillierte Produktinformationen oder Rezepte vorgeschlagen, sondern erfahren auch, wann das Lebensmittel in das Regal eingeräumt wurde. Insbesondere in China, wo enorm viel Wert auf Frische gelegt wird, eine wertvolle Information.
Frische Meeresfrüchte können direkt aus dem Aquarium ausgewählt werden, landen vor den Augen des Käufers im Einkaufswagen oder Teller, wenn es gleich vor Ort gegessen werden möchte. Digitale Preisschilder und Displays ermöglichen ein hochpersonalisiertes Einkaufserlebnis. Basis dafür sind unzählige Kundendaten. Gleichzeitig gelingt es so, Kundenmeinungen gezielt zu nutzen.
Eine der wichtigsten Vorteile von Hema ist seine Funktion als Fulfillment Center: Rund 50 Perzent von Hemas Verkäufen werden online initiiert. Kunden können online bestellen und Hema liefert in weniger als 30 Minuten in einem Radius von 2 Meilen nach Hause. Offline schauen, online kaufen, nach Hause liefern lassen, so sieht denn auch das Konzept aus.
Haben Einkäufer keine Lust, in den Store zu gehen, dann kaufen sie halt nur online. Das Hema-Verkaufspersonal nimmt diese Bestellungen entgegen, geht durch den Laden, pickt die Lebensmittel, verpackt sie und schon landet der Einkauf auf dem Scooter oder dem Fahrrad für die Lieferung. So kann eine Kundin ihre Bestellung noch vom Office aus machen und sobald sie zuhause ist, kann sie gleich zu Abend essen.
Gemäss Alibaba, sind die Hema-Läden so beliebt, dass sich ganze Nachbarschaften drumherum entwickeln und die Immobilienpreise um die Hema-Läden gar gestiegen sind, weil die Nachfrage so gross wurde.
Die Philosophie hinter dem Hema Erfolgskonzept:
They [consumers] live their lives both on their phones and in-store and there will always be a place for physical retail. So why not make it more efficient and more of an experience?
(Hier noch mehr Einblicke in einen Hema-Store)
Amazon – kassenloser und social Commerce
In einer Sammlung positiver Einkaufserlebnissen darf der Name Amazon natürlich nicht fehlen. Auch wenn sich der Gigant als online Pure Player einen Namen gemacht hat, ergänzt er nun sein Universum mit innovativen Offline-Einkaufsmöglichkeiten.
Allen voran Amazon Go, das seit Januar diesen Jahres offiziell eröffnet wurde. Das Konzept eines kassenlosen Supermarkts hat Schlagzeilen gemacht und dafür gesorgt, dass Amazon als Vorreiter des physischen Einkaufserlebnisses der Zukunft angesehen wird.
Neben Amazon Go darf aber auch der Amazon Book Store nicht unerwähnt geblieben lassen. Auf den ersten Blick könnte es ein ganz normaler Buchladen sein. Bei genauerem Hinschauen gibt es aber einen ganz wichtigen Unterschied zu entdecken:
Die Bücher, die ausgestellt und vorgeschlagen werden, basieren nicht auf Empfehlungen irgendwelcher Experten, sondern aufgrund der Rezensionen und Bewertungen von anderen Amazon Kunden. Hier stiftet der Social Commerce offline umgesetzt einen Mehrwert für den Store-Besucher.
Lululemon – der Store als Yoga-Studio
Lululemon ist ein Fashion-Brand aus Kanada, der “yoga-inspirierte” Athletikkleidung, wie Shirts, Hosen oder Tops, herstellt und verkauft. Diese Yoga-Ausrichtung bildet die perfekte Ausgangslage für eine Zweitnutzung ihrer Läden.
Viele von ihnen sind nämlich so eingerichtet, dass dort wöchentliche Yoga-Sessions durchgeführt werden können. Dazu müssen nur die Regale zur Seite geschoben werden. In einigen Stores gibt es dafür sogar eigens eingerichtete Studios.
https://www.instagram.com/p/BmE3uwkjXZr/?hl=de&taken-by=lululemon
Keller Sports – der Enabler des Sports
Auf mehr Erlebnis statt reinem Verkauf setzt auch der deutsch Sportartikel-Händler Keller Sports. In einem kürzlich erschienen Artikel der Wirtschaftszeitschrift Brand eins erklären die Geschäftsführer und Gründer Moritz und Jakob Keller, dass sie den Verkauf von Produkten nur als einen von mehreren Services sehen. Ihr Ziel ist es, die erste Anlaufstelle für ihre Kunden zu sein bei allen Themen rund um ein sportliches Leben.
Ihre Kunden sind sportliche Menschen mit gutem Einkommen und hohem Anspruch an Qualität, also Premiumkunden. Für diese laden sie zu Release-Parties mit DJ und Getränken ein oder veranstalten Radrennen in den Bergen.
https://www.instagram.com/p/BjSX6QsgDyv/?hl=de&taken-by=kellersports
Das Keller Sports Ladengeschäft in München ist denn auch auf eine solche Premium- und Erlebnis-Orientierung ausgerichtet: Im minimalistischen chic, mit wenigen, dafür gezielt ausgewählten Produkten, die schön in Szene gesetzt werden, und somit genug Platz für Apéros, Laufanalysen oder VR-Radrennen.
Gut ausgebildetes Verkaufspersonal, alles selbst passionierte Sportlerinnen und Sportler, berät die Kunden und sammelt wichtige Informationen über ihre Bedürfnisse an Produkte und Services. Doch nicht nur auf dieser Ebene werden wertvolle Daten gesammelt: Um mehr über ihre Kunden zu erfahren und diese personalisierter ansprechen zu können, hat Keller Sports die Premium-Mitgliedschaft für EUR 9,99 pro Monat lanciert.
Darüber erfährt der Händler dann zum Beispiel, welche Sportarten ihre Kunden wie regelmässig und intensiv ausüben. Und natürlich erinnert er seine Kunden, wenn es wieder Zeit für neue Laufschuhe ist oder wann der nächste Lauf-Event bevorsteht.
Ladenkonzepte hinken hinterher – was tun?
Diese vier Beispiele zeigen, dass es durchaus Händler gibt, denen es gelingt, positive Einkaufserlebnisse zu schaffen. Leider gibt es davon noch viel zu wenige, was denn auch zu den gähnend leeren Einkaufscentren oder Innenstädten führt und dazu, dass der stationäre Detailhandel schrumpft.
Den stationären Handel wird es auch in Zukunft und trotz digitalen Einkaufsmöglichkeiten noch geben, da sind sich alle einig. “There will always be a place for physical retail”, sagen sogar Alibaba-Vertreter im hochdigitalisierten China.
Den neuen Technologien, den veränderten Erwartungen von Digital Natives sowie weiteren Trends, wie Hyper-Individualisierung und Erlebnisorientierung, hinken die heutigen Ladenkonzepte hinterher. Sie sind nicht mehr zeitgemäss und deshalb zum scheitern verurteilt.
Die vier unterschiedlichen Beispiel zeigen auch, dass es nicht die Antwort auf die Frage gibt, wie denn das erfolgreiche Ladenkonzept der Zukunft aussehen muss. Sie alle haben einfach ausprobiert (trial-and-error) und tun dies weiter. Je nach Geschäftsmodell und Positionierung setzen sie die Akzente anders.
Ein Muster lässt sich dennoch erkennen, das sie verfolgen, welches auch die Grundlage für ihren Erfolg ist. Darüber mehr im nächsten Beitrag.
Aufruf zum Mitdiskutieren: Kennt ihr noch weitere Stores, die euch begeistern und die eurer Meinung nach ein perfektes Einkaufserlebnis bilden? Wir freuen uns über eure Kommentare.
(Quelle Beitragsbild: kellersports Instagram-Account; https://www.instagram.com/p/BeBOEHDDWhf/?taken-by=kellersports)
Was hat der Artikel nun mit der Überschrift zu tun? Ich fühle mich da als Frau nicht im Geringsten angesprochen.
Ihre Frage ist berechtigt, Frau Zolliger. Tatsächlich hätte ich im Artikel wohl noch mehr auf die unterschiedlichen Bedürfnisse zw. Frau und Mann beim Einkaufen eingehen können. In einem älteren Beitrag in der Future of Femininity Studie habe ich die Bedürfnisse der weiblichen Zielgruppe beim Einkaufen herausgeschält. Die Beispiele, die ich in diesem Artikel vorbringe, erfüllen meiner Meinung nach die Erwartungen der weiblichen Zielgruppe voll und ganz. Sie fühlen sich von den Beispielen nicht angesprochen? Wenn ja, würden wir uns über Beispiele von Ihnen freuen. Danke auf jeden Fall für den konstruktiven Input.