Tatjana Nebel ist evecommerce Competence Board Member und hat bei Ricola die Rolle der Director Innovation inne. Wir haben im Interview mit ihr darüber gesprochen, wie ein traditionelles Schweizer KMU eine Innovationskultur entwickeln und fördern kann, warum sie für den Vorverkauf ihres neuen Produkts «Herbling» auf die Crowdfunding-Plattform Crowdify gesetzt haben und was sie aus diesem mutigen Projekt gelernt hat.
[evecommerce] Seit bald drei Jahren hast du bei Ricola die Rolle der Director Innovation – Sustainability and Future Innovation — inne, was sind deine Aufgaben?
[Tatjana Nebel] Ricola als Schweizer Traditionsunternehmen hat unglaublich viele wundervolle Dinge zu bieten, Schweizer Kräuter, tolle Produkte, tolle Menschen, einen Schweizer Produktionsstandort und fantastische Zusammenarbeit mit einer Vielzahl von Bauern. Meine und die Aufgabe meiner Kollegen ist es, aus den gegebenen Werten und Ressourcen mit einem Ökosystem von Partnern und Menschen, die bereits bei Ricola beschäftigt sind, neue, nachhaltige Produkte und Geschäftsmodelle zu entwickeln.
[eve] Erzähl uns etwas über das Innovationsteam: Wo seid ihr innerhalb der Ricola-Gruppe organisatorisch eingeordnet? Woran und wie arbeitet ihr — auch in Zusammenarbeit mit den anderen Abteilungen?
[TN] Unser CPO leitet den Bereich und wir entwickeln Produkte ums Kerngeschäft herum und auch neue Ideen. Das Team hat mehr als 30 Mitarbeitende aus Research & Development, Marketing und Nachhaltigkeit. Ich persönlich bin im Team von unserem VP Future Innovation & Sustainability, Rasmus Viemose, einem grossartigen Leader.
[eve] Dein letztes Projekt vor deinem Mutterschaftsurlaub war «Herbling». Erzähl uns etwas darüber: Worum geht es? Was war das Ziel des Projekts?
[TN] Das Ziel ist es, aus den tollen Schweizer Kräutern, die wir bei Ricola in unserem Kräuterzentrum in Laufen verarbeiten, ein neues, spannendes Getränk zu entwickeln, das Spass macht, gesünder als die meisten Softdrinks und alkoholfrei ist. Entstanden ist ein Kräutergetränk namens «Herbling».
Wir haben mit einer Künstlerin für die Gestaltung der Flasche zusammengearbeitet, mit der ZHAW am Businessmodell, mit Hyper Island kreative Ideen gebrainstormed und für die Produktentwicklung feilen wir noch mit einer Gruppe von Testern am Geschmack. Wirklich wundervoll war, dass das Team den Vorverkauf am Tag der Geburt unserer Tochter lanciert hat. Ich war sehr gerührt von einem solchen Geschenk und begeistert, dass wir es als Team super geschafft haben, uns selbst zu organisieren. Wir vertrauen uns sehr und so konnte ich mit einem sehr guten Gefühl in den Mutterschutz starten.
Das Herbling-Team mit Tatjana Nebel, Director Innovation Ricola, in der Mitte.
[eve] Für das Crowdfunding musste Ricola auch Kritik von der Presse einstecken. Wie gehst du damit um?
[TN] Die Idee war es einen Vorverkauf von Herbling über die Crowdfunding-Plattform Crowdify zu veranstalten. Inspiriert wurden wir dabei von Firmen wie Lego und Gilette, die ihre Produkte über bestehende Plattformen wie Kickstarter zum Vorverkauf anbieten um zu testen, ob es eine Nachfrage für diese Produkte gibt.
Da wir uns mit einem nicht alkoholischen Apéro Getränk auf Neuland für Ricola bewegen, wollten wir erst einmal testen, ob die Kunden Freude an einem solchen Getränk haben würden. Ganz nach dem Prinzip «build, test, learn». Um diesen Test so kosteneffizient und so schnell wie möglich zu gestalten, haben wir uns für eine bestehende Plattform mit bestehender Community entschieden, statt eigene Kanäle aufzubauen. In der Schweiz ist ein solches Vorgehen noch sehr neu für ein bereits etabliertes KMU. In der Innovation geht man immer Risiken ein, wenn man neue Wege beschreitet und es braucht immer sehr viel Mut, Neues zu wagen. Wir haben uns aber auch über sehr viel positives Feedback aus der Lebensmittelbranche und von Experten aus Innovation und agiler Entwicklung freuen dürfen, die diesen Mut sehr inspirierend fanden. Wir haben aber gelernt, dass wir ein solches Vorgehen als Vorverkauf und nicht als Crowdfunding kommunizieren sollten, um Verwirrung zu vermeiden.
[eve] Die Digitalisierung verändert, wie wir zusammenarbeiten und Neues erschaffen. Inwiefern verändert sie den Innovationsprozess innerhalb eines Unternehmens? Wo siehst du das grösste Potenzial, wo aber auch Herausforderungen, sei es bei Ricola oder auch anderen Unternehmen?
[TN] Für Herbling haben wir mit Hyper Island in Schweden gearbeitet, einer Künstlerin aus Portugal und einem riesigen Netzwerk aus Partnern. Das 4-köpfige Team war in 4 Städten verteilt und hat sich nur 1 Mal physisch getroffen. Trotzdem haben wir Neues zusammen erschaffen. Ich sehe eine grosse Chance, einfach, agil und ohne Grenzen zu arbeiten und die besten Talente für eine Vision zusammenzubringen, unabhängig von ihrem Standort. Es braucht dazu nicht viel: ein digitales Kanban Board, ein Video Conference- und Chat-Tool sowie ein paar Laptops.
Ich glaube, die grösste Herausforderung ist es, sich an dieses Arbeiten zu gewöhnen und einen Vertrauensvorschuss zu gewährleisten. Es braucht Menschen, die Neugierde und Offenheit mitbringen, so zu arbeiten und ein starkes Netzwerk, um die richtigen Personen für Projekte zu finden.
Es ist auch eine sehr gute Erfahrung für unser Team, Resilienz über digitale Tools aufzubauen. Ich war sehr positiv überrascht, wie gut das geklappt hat, und wieviel Vertrauen und Zusammenhalt wir in sehr kurzer Zeit aufgebaut haben.
Ich persönlich kann sagen, dass wir sehr positive Erfahrungen mit dieser Art zu arbeiten gemacht haben und ich jeden empfehlen würde, es einfach mal auszuprobieren.
[eve] Ein traditionelles Schweizer KMU möchte eine Innovationskultur entwickeln und fördern. Was rätst du diesem?
[TN] Traut euch, in euren Unternehmen Neues zu erschaffen und öffnet intern Türen für mutige Ideen. Lasst Politik und bürokratische Strukturen aussen vor und fokussiert euch aufs Doing. Schafft flexible Arbeitsmodelle, damit ihr die besten Talente einstellen könnt. Nutzt bereits bestehende SaaS-Lösungen, Plattformen und Communities, um schnell und kosteneffizient starten zu können. Arbeitet mit euren Kunden zusammen und co-created mit ihnen gemeinsam neue Produkte. Und habt richtig viel Spass dabei!
Willst auch du Teil des evecommerce-Netzwerks sein? Ob Mann oder Frau, jung oder alt: Das evecommerce-Netzwerk steht allen offen.
Frau Scherrer
Danke für diese Story. Interessant zum Lesen und zu lernen wie der Prozess vonstatten ging. Auch hat mich interessiert wie digitale Kommunikation helfen kann beim international Team und dessen Zusammenarbeit.
Schönes Weekend
Urs
DrKPI CyTRAP
Lieber Herr Gattiker
Vielen Dank für Ihren Kommentar – es ist immer schön ein Feedback zu erhalten und zu lesen, was Leser*innen am Artikel gefallen hat. Auch Ihnen ein schönes Wochenende und beste Grüsse, Alexandra Scherrer